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Donnerstag, 18. April 2024
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    Blockhaus war gestern: Vom Bauen und Leben mit Holz

    Holz, Beton oder Stein? Vor dieser Frage steht jeder, der ein Haus errichten möchte. Auch wenn die meisten sich nach wie vor für ein Massivhaus aus Stein oder Beton entscheiden – der Anteil derer, die stattdessen mit Holz bauen, wächst – in Deutschland von zwölf Prozent im Jahr 2000 auf zuletzt gut 17 Prozent. Grund für den Anstieg dürfte auch sein, dass die Holzbaubranche ihre Konzepte und Produktionsverfahren weiterentwickelt hat. Für den Klimaschutz ist dabei ein recht neues Modell besonders interessant: der Massivholzbau.

    Anders als in der weit verbreiteten Rahmenbauweise, bei der in erster Linie das tragende Gerüst aus Holzbalken besteht, werden massive Holzhäuser tatsächlich in der kompletten Wandstärke aus Holz gefertigt. Mit „massiv“ ist dabei jedoch kein Blockhaus aus aufeinander gestapelten Baumstämmen gemeint, wie man es aus den schönen alten Westernfilmen kennt. Computergesteuerte Maschinen dübeln vielmehr Wand- und Deckenelemente aus Brettern verschiedener Stärken schichtweise zu „Brettsperrholz“ zusammen. Daraus fräsen sie eine Art 3-D-Puzzle, das Zimmerleute auf der Baustelle zum Haus zusammensetzen. Die Außenseite muss dann nur noch mit einer witterungsbeständigen Holzschalung oder einem passenden Putz versehen werden – fertig ist das Holzhaus.

    Ein Pionier der Brettsperrholz-Technik ist der Österreicher Erwin Thoma, der 1998 sein „Holz100“-System patentieren ließ. Ihm ging es dabei vor allem um ein angeblich gesünderes Wohnklima, das durch Verzicht auf andere Materialien als Holz erreicht werden soll – also kein Leim, kein Metall, keine Mineralwolle, kein Polystyrol und keine Plastikfolien in Wänden, Decken und Dächern. Hinzu kommt eine Prise Spiritualität in Form spezieller Holzeinschlagsregeln, die sich nach den Mondphasen richten. Inzwischen bauen diverse Anbieter europaweit Massivholzhäuser. Die Verwendung von Holz kommt auch dem Klima zugute. Wände und Decken aus massivem Holz machen komplett CO₂-neutrale Häuser möglich.

    Eigentlich könnte auch die deutsche Energie-Einsparverordnung (EnEV) genau dieses Ziel verfolgen. Sie begrenzt seit 2002 den Energiebedarf neuer Gebäude. Ein modernes Haus nach dem „KfW70“-Standard, derzeit gültige Mindestanforderung, verheizt je Quadratmeter und Jahr weniger als 45 Kilowattstunden Energie. 1980 lag dieser Wert beim Sechsfachen. Wie viel CO₂ bereits bei der Errichtung des Hauses frei wird, interessiert den Gesetzgeber jedoch nicht.

    Im konventionellen Hausbau erfordern Niedrigenergie-Standards immer mehr Dämmung. Die üblichen Materialien Mineralwolle und Polystyrol sind umstritten, weil sie bei der Herstellung viel Energie verbrauchen oder ihre Entsorgung aufwendig und teuer ist, teils enthalten sie giftige Flammschutzmittel. Elektrische Lüftungsanlagen, die im Winter die Feuchtigkeit aus hermetisch dichten Gebäudehüllen abführen, machen die Haustechnik kompliziert und kosten im Betrieb Strom.

    „Die EnEV betrachtet ausschließlich die Betriebsenergie von Gebäuden. Wie aufwendig und damit CO₂-intensiv die Konstruktion des Hauses ist, bleibt außen vor“, kritisiert der Darmstädter Architekt Joost Hartwig. Er ist Auditor bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.), einer Non-Profit-Organisation von Fachleuten aus der Bau- und Immobilienwirtschaft. Herstellung, Transport und Verarbeitung der Baumaterialien können bei der Errichtung eines durchschnittlichen Steinhauses nahezu so viele Emissionen erzeugen wie der Betrieb der Heizung über 50 Jahre.

    Die Nachhaltigkeitsexperten der DGNB haben ausgerechnet, wie hoch das Treibhauspotenzial der Einzelbauteile von Häusern ist. Die Konstruktion eines konventionellen Hauses belastet das Konto demnach mit dem Äquivalent von 350 bis 480 Kilogramm CO₂ je Quadratmeter Wohnfläche, bei 150 Quadratmetern also mit bis zu 72 Tonnen. Den höchsten Anteil daran haben mineralische Baustoffe: Steine, Ziegel, Beton. Zum Vergleich: Ein Auto stößt pro Kilometer etwa 150 Gramm CO₂ aus.

    Die Nutzung von Holz in Gebäudekonstruktionen hingegen könnte sogar helfen, die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre zu senken. Denn Bäume entziehen der Luft bei der Photosynthese CO₂ und bilden Holz mit dem darin enthaltenen Kohlenstoff. In einem Kubikmeter Holz steckt der Kohlenstoff aus etwa einer Tonne des Klimagases. Ein Massivholzhaus enthält pro Quadratmeter Wohnfläche zwischen einem halben und einem Kubikmeter Holz. Diese Holzmenge gleicht das Treibhauspotenzial der Nicht-Holz-Bauteile aus, kann es im Extremfall sogar überkompensieren.

    Der Traunsteiner IHK-Sachverständige und Holzhausexperte Josef Egle hat im Auftrag der RAL-Gütegemeinschaft „CO₂-neutrale Bauwerke in Holz e.V.“ eine Studie über 18 Holzhäuser in mehreren europäischen Ländern erstellt. Das Ergebnis bestätigt die Aussagen der DGNB. „Beim Bau eines typischen Einfamilienhauses könnten allein im Herstellungsprozess etwa 60 bis 70 Tonnen CO₂ eingespart werden, wenn mit Massivholz als tragende Bausubstanz gearbeitet wird“, sagt Egle. Diese Einsparungen ergeben sich nicht nur aus dem im Holz gespeicherten Kohlenstoff, sondern auch dadurch, dass Massivholz tragende Bauteile aus Materialien wie Stein oder Stahl ersetzt, bei deren Herstellung und Verarbeitung viel CO₂ frei wird.

    Im „Woodcube“, einem Hamburger Mehrfamilienhaus mit fünf Etagen und knapp tausend Quadratmetern Wohnfläche sind fast 500 Kubikmeter Holz allein in Wänden und Decken verbaut. Joost Hartwig ermittelte für seine Errichtung eine CO₂-Last von nur 25 Kilo pro Quadratmeter. Ohne Fahrstuhl und Betonkeller, zwei Teile mit besonders energieraubender Herstellung, wäre sogar ein negativer Wert herausgekommen, also CO₂-Speicherung statt CO₂-Ausstoß. Ein solcher ist bei Einfamilienhäusern tatsächlich möglich. Fahrstühle gibt es hier nicht. Lüftungsanlagen sind dank der Massivholzwände nicht notwendig, da das Holz in seiner natürlichen Zellstruktur viel Feuchtigkeit aufnehmen und später wieder abgeben kann. Holzfaserplatten können problematische Dämm-Materialien ersetzen; mit ausreichenden Wandstärken geht es auch ganz ohne Dämmung. Ein Passivhaus könnte auf diese Weise über die gesamte Nutzungszeit CO₂-neutral sein.

    Allein durch die Verwendung von Holz lässt sich laut Joost Hartwig etwa ein Viertel der gesamten klimarelevanten Emissionen eines Hauses einsparen. „Diese Ersparnis findet komplett im Jahr null statt und nicht verteilt auf 50 Jahre wie bei verbesserter Dämmung. Der Hebel der Gebäudekonstruktion ist deshalb viel wirksamer“, sagt er.

    Am Ende steht schließlich der Abriss – nicht jedes Haus wird zum Baudenkmal. Im Gegensatz zur Dämmung schneidet die tragende Konstruktion von Steinhäusern beim Rückbau relativ gut ab, weil sich Stein und Beton recyceln lassen. Allerdings nicht zu neuem Material der gleichen Qualität, sondern geschreddert zu „Sekundärbaustoff“. Dagegen ist bei Bauelementen aus Massivholz sogar Mehrfachnutzung denkbar. Wenn Wände und Decken nur aus Massivholz bestehen und keinen Leim enthalten, könnten sie zerlegt und zu neuen Bauteilen zusammengesetzt werden. Aus den modernen Massivholzhäusern würden so am Ende ihrer Nutzungsdauer wieder neue Holzgebäude.

    Das allerdings dürfte noch einige Jahrzehnte dauern. Gibt es bis dahin überhaupt genug Bäume, um alle künftigen Häuser aus Holz zu bauen, oder müsste dafür der deutsche Wald geopfert werden? Tatsächlich wächst in Deutschland derzeit noch jedes Jahr mehr nutzbares Holz nach als geschlagen wird. Der Rest sollte zumindest für die Einfamilienhäuser reichen. „Erst wenn wir vollständig auf Holz setzen, würde es möglicherweise knapp“, sagt Architekt Hartwig. Dann müsste recycelt werden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber schon heute kann jedes Massivholzhaus ein Beitrag zum Klimaschutz sein.


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